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Experten geben Einblicke
Wir sprachen mit dem Nachhaltigkeitsexperten Dr. Fabiano Piccinno über einige der aktuellen Herausforderungen und Chancen im Bereich der Nachhaltigkeit in der Logistikbranche.
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Hallo Fabiano, schön, Sie kennenzulernen. Erzählen Sie doch mal, wie sind Sie zu Ihrer aktuellen Position gekommen? Welchen Weg haben Sie eingeschlagen?
Ich habe ursprünglich einen Master in Chemie und Betriebswirtschaft gemacht. Während meiner Promotion habe ich mich für Nachhaltigkeit interessiert. Ich habe an einem Projekt der EU-Kommission zur Entwicklung neuer Hightech-Materialien aus Lebensmittelabfällen mitgearbeitet. Ich war für die gesamte Nachhaltigkeitsbewertung verantwortlich und habe neue Methoden für Lebenszyklusanalysen (LCA) entwickelt und herausgearbeitet, wie die kommerzielle Produktion aus Sicht der Nachhaltigkeit optimiert werden kann, solange sie sich noch im Laborstadium befindet. Nach meinem Studium habe ich eine Stelle bei der Schweizerischen Bundesbahn im Team für Unternehmensnachhaltigkeit angetreten, das für die Klimastrategie und die „Kreislaufwirtschaft“ zuständig ist.
Was genau umfasst Ihre Aufgabe?
In meiner Position befasse ich mich mit allen Themen rund um Nachhaltigkeit im Luftfrachtbereich. Dazu gehören alle Themen im Zusammenhang mit nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAF), von der Beschaffung über unser gesamtes Programm bis hin zur Anwendung, Berechnung und Ausgabe sowie dem Weiterverkauf an Kunden in Form von Zertifikaten. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Emissionsbilanzierung. Dabei geht es einerseits um unsere eigenen Emissionen, andererseits aber auch um die Emissionen unserer Kunden. Wir beschäftigen uns nun mit einer ausgefeilteren Einbindung von Fluggesellschaften und Kunden und engagieren uns in allen Arbeitsgruppen oder Interessengruppen der Branche, wie beispielsweise dem Smart Freight Centre.
Gab es etwas Bestimmtes, das Ihr Interesse an der Logistik geweckt hat?
Der Hauptgrund für mich war das Ausmaß der möglichen Auswirkungen, die meine Arbeit in einem so internationalen und großen Unternehmen haben könnte.
Bevor ich diese Position antrat, hatte ich nicht wirklich vor, in die Logistikbranche einzusteigen. Aber die Luftfahrt war für mich in Bezug auf Nachhaltigkeit schon immer sehr interessant, da sie einer der Sektoren ist, in denen Emissionsreduktionen am schwierigsten zu erreichen sind. Die Realität ist, dass wir nicht aufhören werden zu fliegen.
Natürlich kann es kein unbegrenztes Wachstum geben, und ich denke, dasselbe gilt auch für die Luftfahrt. Wir müssen nur einen anderen Weg einschlagen, denn sie hat viele positive Auswirkungen. Das ist sicherlich eine Herausforderung, da die Lösungen noch in der Entwicklung sind und der Markt erst langsam reift.
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Wie würden Sie den aktuellen Stand der Nachhaltigkeit in der Luftfracht beschreiben?
Ich denke, dass das Verständnis langsam zunimmt, aber es befindet sich noch in einem frühen Stadium. Es gibt immer noch Unterschiede innerhalb der Branche, einige sind sehr fortschrittlich, andere stehen noch ganz am Anfang, aber die Erkenntnis, dass Veränderungen notwendig sind, ist vorhanden.
Was ich außerdem sehe, ist, dass es je nach geografischer Region erhebliche Unterschiede im Reifegrad des Themas gibt.
Europa und Nordamerika sind weiter fortgeschritten, während wir in den anderen Regionen noch mehr Aufklärungsarbeit leisten müssen, um einerseits die Bedeutung dieses Themas zu betonen, andererseits aber auch zu zeigen, was heute bereits möglich ist.
Wenn wir uns die Luftfahrt und die Luftfracht ansehen, muss man die Luftfahrt als Ganzes betrachten, da alles miteinander verbunden ist. Abgesehen von der Pandemie sind die Emissionen weiterhin gestiegen. Selbst SAF macht immer noch weniger als 1% des gesamten produzierten Treibstoffs aus. Es gibt also ein enormes Wachstumspotenzial.
Was sind die Herausforderungen bei der breiten Einführung von SAF?
Die größte Herausforderung ist die Steigerung der Produktion und die Akzeptanz durch den Markt. Es ist von größter Bedeutung, dass jetzt in neue Kapazitäten investiert wird, und dafür ist ein starkes Marktsignal entscheidend. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es ein bisschen wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei ist – jemand muss den Anfang machen, um einen tragfähigen Markt zu schaffen. Es müssen alle Beteiligten der Wertschöpfungskette einbezogen werden, vom Lieferanten über den Spediteur und Frachtführer bis hin zum Endkunden. Wir brauchen Skaleneffekte, um den Preis zu senken, und dabei helfen uns Vorschriften.
Im April dieses Jahres verabschiedete die EU ein Gesetz namens „Refuel EU Aviation“, das vorschreibt, dass die Flugkraftstofflieferanten mindestens 2% ihres gesamten Kraftstoffs durch SAF ersetzen müssen, wobei dieser Anteil bis 2040 auf 32% und bis 2050 auf 63% steigen soll. Staatliche Subventionen für die Verwendung von SAF können ebenfalls dazu beitragen, die zusätzlichen Kosten für SAF zu senken und den Markt zu erweitern. Auch das EU-Emissionshandelssystem (ETS) leistet einen Beitrag, indem es fossile Brennstoffe aufgrund der zu zahlenden CO2-Zertifikate effektiv verteuert.
Was umfasst das SAF-Programm von Kühne+Nagel?
Bei der Konzeption unseres SAF-Programms haben wir einen „ganzheitlichen Wertschöpfungskettenansatz“ verfolgt. Dies bedeutet, dass wir Prinzipien und Konzepte im Zusammenhang mit der Beschaffung von SAF angewendet haben – einschließlich Mindestanforderungen und Einschränkungen – über den „Book and Claim“‑Prozess hinweg, bis hin zu den spezifisch angebotenen Produkten sowie der Berechnung der erforderlichen Menge an SAF und der Emissionsminderungen auf dem Zertifikat. Genauer gesagt verfolgen wir einen direkten „Book and Claim“-Ansatz im Gegensatz zu einem indirekten Ansatz, der auf dem Markt häufig anzutreffen ist. Direkt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass wir SAF nur über Fluggesellschaften aus unserem Netzwerk beziehen, die direkten Zugang zum Abholort haben, und dass wir uns auf die Mengen beschränken, die wir mit ihnen transportieren. Das Gleiche gilt für unsere Kunden. Wir sind überzeugt, dass dies der richtige Weg ist, um das „Book and Claim“-Konzept anzuwenden.
Wie funktioniert das „Book and Claim”-Verfahren?
Book & Claim in Kürze
Kühne+Nagel bezieht SAF über eine Fluggesellschaft (z. B. BA), die SAF verbrennt und dafür ein Emissionsminderungszertifikat erhält, das 1:1 mit dem Zertifikat des SAF-Herstellers verknüpft ist und besagt, dass der durch diese Initiative erzielte Nutzen Kühne+Nagel zugeschrieben wird.
Das „Book and Claim“-Modell stellt sicher, dass die Aufzeichnungen der Initiative eine 1:1-Serienkette bilden, die es Kühne+Nagel ermöglicht, die Emissionsvermeidungsgutschrift einer Kundensendung zuzuordnen, die beispielsweise auch von Lufthansa durchgeführt worden wäre. Das bedeutet jedoch nicht, dass Lufthansa eine Gutschrift beanspruchen wird, da die Fluggesellschaft, die berechtigt ist, den Nutzen dieser Initiative zu melden, British Airways ist.
Wie läuft der Prozess ab, wenn ein Kunde SAF wünscht?
Wir haben einen optimierten Prozess für unsere Kunden entwickelt, um fossile Brennstoffe in allen Verkehrsträgern durch kohlenstoffarme Alternativen zu ersetzen. Im Luftfrachtbereich bieten wir unseren Kunden zwei Optionen zur Auswahl: Zum einen die nachträgliche Substitution von verwendetem Kerosin durch SAF. Zum anderen das Opt-in-Angebot, SAF für eine einzelne Sendung zu verwenden, das wir in jedem Angebot an Versender anbieten. In beiden Fällen erhält der Kunde nach der Sendung ein Zertifikat, aus dem die Reduktionen und die zugewiesene SAF-Menge sowie die gesamte Rückverfolgbarkeit der SAF-Kette hervorgehen.
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Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Nachhaltigkeit in der Luftfracht aus?
Das ist spannend. Ich denke, dass dieses Thema in vielerlei Hinsicht noch in den Kinderschuhen steckt, sodass noch viel zu tun ist und viel positive Energie in diesem Sektor steckt. Allerdings ist die Skalierung neuer SAF-Kapazitäten und -Technologien von entscheidender Bedeutung und muss unverzüglich in Angriff genommen werden.
Aber auch andere Themen wie Nicht-CO2-Emissionen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Mehrere Fluggesellschaften haben dies zuvor heruntergespielt, aber jetzt beginnen sie, es anzuerkennen. Wie sie gemessen und einbezogen werden sollen, ist noch schwer zu sagen, aber zumindest wird es zu einem echten Thema. Dies zeigt, dass die Branche in Bezug auf Nachhaltigkeit ehrlicher und transparenter wird, was entscheidend ist. Und wie gesagt, das Potenzial ist enorm.
Wenn wir die Ziele der Luftfahrt überhaupt erreichen wollen, dürfen wir keine Zeit verlieren. Wir nehmen das Thema sehr ernst und sind uns unserer Rolle bewusst, weshalb es für uns ein Schwerpunktthema ist.
Dr. Fabiano Piccinno
Global Air Logistics Sustainability Manager
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am besten?
Ich habe eine hohe intrinsische Motivation, wenn es um Nachhaltigkeit geht, weshalb ich Lösungen entwickeln möchte, die aus Sicht der Nachhaltigkeit sinnvoll sind. Am meisten gefällt mir an meiner Arbeit, dass ich die Zukunft mitgestalten, etwas bewirken und etwas tun kann, das auf globaler Ebene hilft.
Ich arbeite mit Kunden und Spediteuren und sogar innerhalb des Unternehmens auf der ganzen Welt zusammen, und die Lösung ist nicht immer dieselbe, ebenso wenig wie der Hintergrund, wie man sie angeht. Aber meistens geht es darum, gemeinsam mit Kollegen und der gesamten Wertschöpfungskette – sogar mit Wettbewerbern – an Lösungen zu arbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
